25 Jahre Neugeborenen-Screening – ein ganz besonderes Jubiläum
Für das Neugeborene ist es nur ein kurzer Moment und ein kleiner Pieks. Für den Start in ein möglichst gesundes Leben, ist es eine unentbehrliche Vorsorge-Maßnahme. Für uns ist es ein Grund, stolz auf 25 Jahre Einsatz für die Gesundheit der Kleinsten zurückzublicken – das Neugeborenen-Screening bei Labor Becker.
Eine Erfolgsgeschichte in der Früherkennung
Während der Großteil der Kinder gesund zur Welt kommt, liegt bei etwa einem von 750 Neugeborenen eine der 17 seltenen Erkrankungen vor, die durch das Neugeborenen-Screening in Deutschland aktuell erkannt werden können. Die Erkrankungen betreffen den Stoffwechsel sowie das Hormon-, Blut-, Immun- und neuromuskuläre System. Auch die Mukoviszidose ist enthalten [1].
In den ersten Lebenstagen zeigen sich häufig noch keine Anzeichen. Dennoch drängt die Zeit. Damit sich die betroffenen Kinder möglichst normal und gesund entwickeln können, ist es essentiell, bereits vor Einsetzen von Symptomen mit einer Therapie zu beginnen. Wenige Tropfen Blut, z.B. aus der Ferse des Babys, werden auf eine Trockenblutkarte aufgetropft und sollen nach dem Trocknen möglichst umgehend an das Screening-Labor gesendet werden.
Die Anforderungen an diagnostische Tests für das Neugeborenen-Screening sind komplex. Jeden Tag werden bei Labor Becker durchschnittlich zwischen 500 und 600 Neugeborene untersucht. Es ist daher wichtig, dass die diagnostischen Tests einen hohen Probendurchsatz erlauben und dennoch mit hoher Sicherheit betroffene Neugeborene schnellstmöglich identifizieren.
Eine kleine Historie des erweiterten Neugeborenen-Screenings
Entscheidend für die Aufnahme einer Zielkrankheit in das erweiterte Neugeborenen-Screening (ENS) ist die Verfügbarkeit von Behandlungsoptionen zur Vermeidung oder Linderung von Krankheitsfolgen. Mit dem therapeutischen Fortschritt wuchs daher auch die Anzahl der Zielkrankheiten. 2005, zum Zeitpunkt der bundesweiten Einführung des ENS, waren ausschließlich Stoffwechsel- und Hormonstörungen Teil des Screening-Programms. Seither jedoch wurde das ENS schrittweise um die Mukoviszidose, Schwere kombinierte Immundefekte (SCID) sowie die Spinale Muskelatrophie (SMA) und die Sichelzellkrankheit erweitert.
Unsere Erfahrungen und Ergebnisse aus 25 Jahren Neugeborenen-Screening
Im Laufe von 25 Jahren haben wir über drei Millionen Neugeborene untersucht und mehr als 2.000 betroffene Kinder identifiziert (vgl. Grafik). Dank unseren Untersuchungen und der engen Zusammenarbeit mit spezialisierten Behandlungszentren konnten die Kinder rechtzeitig einer Therapie zugeführt und somit schwere (i.d.R. irreversible) gesundheitliche Folgen wie Infektionen, Organschäden, Wachstumsstörungen oder Behinderungen verhindert werden.

Das macht das Neugeborenen-Screening bei Labor Becker besonders
Vorreiterrolle durch Engagement in Modellprojekten
Das Neugeborenen-Screening bei Labor Becker begann am 1. Januar 1999 als Modellprojekt. In enger Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen Gesundheitsdienst (Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)) und uns wurden im „Modellprojekt zur Neuordnung des Neugeborenen-Screenings in Bayern“ Organisation und Prozesse des Screenings optimiert, der Untersuchungsumfang deutlich erweitert und neue Untersuchungsmethoden evaluiert. Die Ergebnisse haben wesentlich zur bundesweiten Einführung des erweiterten Neugeborenen-Screenings (s.o.) zum 1. Juli 2005 beigetragen [4, 5].
Eine weitere wichtige Vorarbeit war das Pilotprojekt zur Testung auf spinale Muskelatrophie (SMA), das im Januar 2018 startete. Erstmals kamen molekulargenetische Untersuchungen für das Screening zum Einsatz. Die positiven Erfahrungen aus dem Pilotprojekt und Fortschritte in der Therapie der SMA haben zu der Entscheidung des G-BA beigetragen, den Test 2021 in das erweiterte Neugeborenen-Screening aufzunehmen [6, 7].
Aktuell beteiligen wir uns als eines von drei Laboren an einem Modellprojekt zur Weiterentwicklung des Neugeborenen-Screenings [8], bei dem Neugeborene zusätzlich auf 14 weitere metabolische Erkrankungen untersucht werden. Zwischen 2010 und 2020 konnten so 26 Kinder mit weiteren seltenen Erkrankungen identifiziert werden.
Höchster Anspruch an die Qualität unserer Diagnostik
Wie bei allen Screening-Verfahren gilt: Ein auffälliger Befund ist noch keine ärztliche Diagnose, sondern lediglich ein Verdacht. Es ist ein immanentes Merkmal, dass Screeningteste „falsch positive“ Ergebnisse (auffälliger Befund bei einem gesundem Kind) produzieren. Durch ergänzende Testverfahren (sog. „2nd-tier-Verfahren“) lässt sich die Anzahl falsch positiver Fälle jedoch drastisch reduzieren und damit die Spezifität des Screenings erhöhen. Bei einem auffälligen Befund wird eine Probe aus derselben Trockenblutkarte mit einem alternativen Testverfahren untersucht. Erhärtet sich der Verdacht in dieser Untersuchung nicht, werden die Eltern nicht informiert und damit nicht unnötig beunruhigt.
Der Wert von 2nd-tier-Verfahren lässt sich an konkreten Beispielen gut illustrieren. Bei Screening auf Isovalerianazidämie (IVA) sind falsch-positive Befunde meist Folge einer Therapie der Mutter mit dem Antibiotikum Pivmecillinam in den Tagen vor der Geburt. Erst durch 2nd-tier-Verfahren lässt sich eindeutig zwischen dem Zielanalyten (Isovalerylcarnitin) und dem interferierenden Pivmecillinam-Stoffwechselprodukt (Pivaloylcarnitin) unterscheiden und die Erkrankung IVA ausschließen. So konnten wir seit Einführung des 2nd-tier-Verfahrens (2020) in 688 Fällen einen Krankheitsverdacht ausräumen, ohne die Eltern unnötig zu verunsichern.
Beim Screening auf das Adrenogenitale Syndrom (AGS) setzen wir bereits seit 2015 ein 2nd-tier-Verfahren ein. Verschiedene mögliche Störfaktoren führen zu einer relativ hohen falsch-positiv-Rate im AGS-Primärscreening. Durch eine ergänzende Analyse des Steroidhormonprofils aus derselben Filterkarte lässt sich die falsch-positiv-Rate signifikant senken. So ersparen wir seit bald zehn Jahren Eltern Sorgen und dem Neugeborenen eine weitere Proben-Entnahme. Ab Januar 2025 wird das 2nd-tier-Verfahren für die AGS-Testung bundesweit eingeführt [9].
Sechs Jahre Erfahrung im genetischen Screening
Genetische Untersuchungen kommen im Rahmen des erweiterten Neugeborenen-Screenings erst seit wenigen Jahren zum Einsatz. So wurde die genetische Testung auf schwere kombinierte Immundefekte im August 2019 eingeführt, der Test auf spinale Muskelatrophie im Oktober 2021. Durch das Pilotprojekt zum SMA-Screening, das im Januar 2018 startete, blicken wir bei Labor Becker bereits auf sechs Jahre Routine im genetischen Neugeborenen-Screening zurück. Zudem konnten wir in diesem Jahr bereits das einmillionste Neugeborene auf SMA untersuchen. Eine Zahl, auf die wir sehr stolz sind.
Unser Impact
Das Neugeborenen-Screening im Labor Becker wird gemeinsam von Laborärzt:innen, Naturwissenschaftler:innen und erfahrenen Kinderärzt:innen durchgeführt, wir haben so einen interdisziplinären Blick auf die Gesundheit der Kleinsten. Seit den Anfängen des Screenings bei Labor Becker bemühen wir uns um die stetige Weiterentwicklung des Neugeborenen-Screenings. Sei es die Optimierung von Organisation und Prozessen gemeinsam mit dem LGL oder die Evaluierung, Entwicklung oder Verbesserung der eingesetzten Screening-Methoden. Unser Engagement in Modellprojekten erlaubt es uns, zusätzlich zum Regelscreening, medizinisch-sinnvolle und diagnostisch-realisierbare Früherkennungsmaßnahmen anzubieten.
Das ändert sich 2025 beim Neugeborenen-Screening
Neben der bundesweiten Einführung eines 2nd-tier-Verfahrens beim AGS-Screening (s.o.) gibt es noch weitere Änderungen der Kinder-Richtlinie, die zum 13. Januar 2025 in Kraft treten [9]. Sie zielen darauf ab, den Informationsfluss zwischen Eltern, Klinik, Screening-Laboren und spezialisierten Einrichtungen zu verbessern und so Zeitverluste zu vermeiden.
Eltern werden künftig direkt durch Ärzt:innen des Screening-Labors bzw. einer spezialisierten Einrichtung informiert, wenn es auffällige Befunde gibt, die es abzuklären gilt. Bislang erfolgte die Kontaktaufnahme mit den Eltern durch die Einsender. Einsendende Einrichtungen erhalten aber natürlich weiterhin einen schriftlichen Befund.
Zudem wird bundesweit das Erinnerungsmanagement verankert. Das System soll sicherstellen, dass wichtige Kontroll- und Abklärungstermine wahrgenommen werden und hat sich in Bayern schon lange bewährt. In enger Zusammenarbeit zwischen dem LGL, Labor Becker und den Einsendern tragen wir seit den Anfängen des Screenings bei uns im Labor dafür Sorge, kein Kind aus den Augen zu verlieren.
Referenzen
[1] Gemeinsamer Bundesausschuss. Kinder-Richtlinie. In Kraft getretene Version vom 13.07.2023. Aufrufbar unter https://www.g-ba.de/richtlinien/15/, aufgerufen am 12.12.2024
[2] Deutschen Gesellschaft für Neugeborenenscreening e.V. Screeningreports. 2004-2021. Aufrufbar unter https://www.screening-dgns.de/reports.php, aufgerufen am 12.12.2024
[3] Bzdok et al. Genes (Basel). 2024;15(11):1467.
[4] Kösel et al. Clin Chem. 2005;51(2):298-304.
[5] Maier et al. Hum Mutat. 2005;25(5):443-52.
[6] Czibere et al. Eur J Hum Genet. 2020;28(1):23-30.
[7] Gemeinsamer Bundesausschuss. Tragende Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Kinder-Richtlinie: Neugeborenen-Screening auf 5q-assoziierte spinale Muskelatrophie (SMA). 2020. Aufrufbar unter https://www.g-ba.de/downloads/40-268-7155/2020-12-17_Kinder-RL_SMA_TrG.pdf, aufgerufen am 12.12.2024
[8] Maier et al. J Inherit Metab Dis. 2023;46(6):1043-1062.
[9] Bundesministerium für Gesundheit. Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Kinder-Richtlinie vom 21. März 2024. Bundesanzeiger. BAnz AT 12.07.2024 B3